Eine bittere Erkenntnis
Vor einigen Jahren las ich in einer Zeitung einen Bericht über einen amerikanischen Sträfling im Todestrakt. Dessen Hinrichtung lag eigentlich schon Jahre zurück, doch damals wollte die Exekutionsmaschine aus unerfindlichen Gründen nicht funktionieren und seine Hinrichtung wurde auf einen unbestimmten Zeitpunkt verschoben.
Laut Gerichtsurteil soll dieser Mann eine junge Frau vergewaltigt und ermordet haben. Ob er dieses Delikt tatsächlich verübte, oder ob er unschuldig hinter Gitter sass, kann ich nicht beurteilen. Fakt war, dass dieser Mann seine Tat zutiefst bereute und sich während seines Gefängnisaufenthaltes zum Glauben an Jesus Christus bekehrte.
Nun stand seine erneute Exekution bevor.
Darauf ging ein grosser Aufschrei durch die Bevölkerung. Man solle diesen Mann begnadigen. Aus ihrer Sicht war er durch den misslungenen ersten Hinrichtungsakt, bereits genug bestraft. Zudem habe er sich im Gefängnis gebessert, bereue seine Tat und beweise dies auch durch seinen neuen Lebenswandel. Doch alle Proteste nützten nichts, der Mann wurde nicht begnadigt, und hingerichtet.
Mich hat diese Geschichte sehr berührt. Ich empfand die Situation schrecklich. Diesen Mann mit dem Tode zu bestrafen, obwohl er wie sein Opfer mit den schlimmstmöglichen Todesängsten, mehr als genug konfrontiert und bestraft war. Zudem schien er seine Tat wirklich zutiefst zu bereuen, und ich musste dabei an die Szene in der Bibel denken, wie Jesus die Frau, welche gesteinigt werden sollte, vor dem wütenden Mob rettete. (Johannes 8 1-12)
Aus dieser Überlegung machte ich mir ernsthaft Gedanken, in welchem Bereich meines Lebens auch ich immer noch ein unerbittlicher Richter und heimlicher Henker über meine Mitmenschen war.
Mein Nahtoderlebnis
Im Januar 2011 erlebte ich durch eine Panikattacke ausgelöst ein nahtodartiges Erlebnis, welches meine Einstellung zu meinem damaligen Leben für immer veränderte.
Damals befasste ich mich seit kurzem wieder mit dem christlichen Glauben, dem ich mit 16 Jahren entschlossen abgeschworen hatte. Denn durch Erziehung und kirchliche Indoktrination war mein Gottesbild durch einen rachsüchtigen Richtergott, Fegefeuer und ewigen Höllenstrafe geprägt und damit kam ich nicht klar. «Brav zu sein» war für mich zu Hause eine ziemliche Herausforderung, trotz meiner damaligen Überangepasstheit im Aussen. Heute würde ich sicher als ADS-Kind durchgehen.
In der Schule konnte ich während der Bibelstunde in den Geschichten von Jesus beim besten Willen keine Rache und Strafe finden. Nur Liebe, Gnade und Barmherzigkeit. Ein Widerspruch, der mich ein Leben lang stutzen machte und mich immer mehr von dieser Religion entfernte.
Nach meiner bewussten Lebensübergabe an Jesus, dachte ich eines Tages über den Sturz Luzifers aus dem Himmel nach. Ich überlegte mir, was wohl wäre, wenn mit den gefallenen Engeln nicht nur die Dämonen in der Hölle gemeint sind, sondern wenn im Grunde alle Menschen diese gefallenen Engel darstellen. Wenn wir alle dadurch die Möglichkeit erhalten unsere Seelen durch Reinkarnation und unendlich viele Zeitläufe zu läutern und dadurch, geistig veredelt, eines Tages wieder ins Himmelsreich zurückkehren dürfen? So wie es sinnbildlich die biblische Geschichte des verlorenen Sohnes Lukas 15,11-32 darstellt. Das wäre genau diese Gnade, Liebe und Barmherzigkeit welche Jesus immer vermittelt hat und für die er schliesslich am Kreuz gestorben ist. Endlich machte alles Sinn in diesem Leben.
Meine Neugierde war geweckt. Ich suchte im Internet nach dem Thema «Christentum und Reinkarnation» und wurde zunächst beim Kirchenvater Origenes fündig. Dieser vermittelte ein ganz anderes, wohlwollenderes Gottesbild der Allversöhnung, als es viele Kirchen mit ihrer lieblosen und angstmachenden, ewigen Höllenstrafe auch heute noch tun. Später stiess ich auf Jakob Lorber, in dessen Schriften ich meine neuen Erkenntnisse ebenfalls bestätigt fand. Dies versetze mich in eine regelrechte Euphorie. Eine Art Erleuchtungserlebnis. Endlich hatte ich meinen spirituellen Missing Link gefunden, welchen ich mein Leben lang suchte. Es fühlte sich an, als ob sich mir der ganze Himmel geöffnet hätte. Beide Welten das Dies- und Jenseits schienen zu verschmelzen. Da dieser Zustand über Stunden anhielt, ergriff mich plötzlich eine grosse Angst, da ich nicht wusste was mit mir passierte.
Als ich abends zu Bett ging, konnte ich nicht einschlafen. Plötzlich fand ich mich in einer absoluten Finsternis. Es fühlte sich so an, als ob mich etwas durch einen langen, schwarzen Tunnel zog. Weit in der Ferne sah ich ein heller werdendes Licht, auf das ich mich immer schneller zubewegte. Irgendwann war ich komplett von diesem Licht umhüllt und ich fand mich in einem grossen Saal wieder. Das Licht strahlte eine unaussprechliche Liebe aus und für mich war klar, dass es nur Jesus sein konnte. Irgendwann sprach es telepathisch zu mir, dass ich mich auf dem rechten Weg befand und einen neuen Namen bekommen würde. Mit dieser Botschaft konnte ich zunächst nichts anfangen. Mein Aufenthalt in dieser Welt war gefühlsmässig relativ kurz. Doch als ich wieder in meinem physischen Körper war, sah ich das gute 2 Stunden vergangen waren.
In den folgenden Tagen versuchte ich das Erlebte einzuordnen und stiess auf das Thema Nahtoderfahrung. Ich erfuhr, dass NTE auch durch starke Gefühlswallungen wie Panikattacken ausgelöst werden können und so hatte ich eine erste Orientierung, was mir möglicherweise widerfahren war. Wie bei den meisten NTE, führte dieses Erlebnis auch bei mir zu einer nachhaltigen Einstellungs- und Lebensveränderung. Eine kurze Zeit später durfte ich nochmal eine zweite, ähnliche Erfahrung machen. Diesmal jedoch im negativen Kontext. Ich besuchte keine lichtvollen himmlischen Gefilde, sondern fand mich in einer düsteren, kargen Landschaft, welche mit einer unschönen Begegnung mit einer furchteinflössenden Gestalt endete.
Dieses zweite Erlebnis war für mich ab diesem Zeitpunkt richtungsweisend. Aus meiner heutigen Sicht denke ich, dass alles was ich dort erlebte, meine damals ungeschönte, innere Realität aufzeigte.
Rückschau
Meine leibliche Mutter war durch anhaltende psychische Probleme nicht im Stande mich zu versorgen. Dadurch kam ich mit 4 1/2 Monaten zu meinen Grosseltern väterlicherseits, bei denen ich bis ich 16 Jahre alt war, aufgewachsen bin. Einer emotionalen und materiellen Verwahrlosung folgte die extreme Überbehütung meiner Grossmutter. Dieser Umstand sicherte mir wohl mein Überleben, doch entwickelten sich daraus auch zahlreiche weitere Probleme.
Meine Kindheit war nicht einfach. Ich war oft alleine und fühlte mich sehr einsam. In der Schule pflegte ich nur wenige, ausgesuchte Freundschaften. Der Schulstoff langweilte mich und bei zu viel Druck konnte ich dem Unterricht nicht mehr folgen, was sich immer wieder in meiner schulischen Leistung ausdrückte. Ich war ängstlich, introvertiert und weinte bereits, wenn mich jemand nur etwas schräg anguckte.
Nach meinem Auszug aus dem behüteten Grosselternhaus, wurde ich von einem Tag auf den anderen mit der harten Realität des Lebens konfrontiert. Ich hatte nie gelernt Grenzen zu setzen und war unfähig die Grenzen anderer zu erkennen. Mit dem Schmerz und Leid, dass daraus entstand, konnte ich nicht umgehen, so versuchte ich meine Gefühle mit hyperaktiver Ablenkung wie extensive Arbeit, Sport oder anderen Beschäftigungen zu unterdrücken. Als mich diese Taktik nicht mehr weiterbrachte, kamen extremer Alkoholkonsum und später auch Aufputschmittel und meine täglichen 2 Pack Zigaretten hinzu. An meinem damaligen gefühlten Tiefpunkt meines Lebens wurde ich ungewollt schwanger mit meiner ältesten Tochter, was allerdings mein damaliges Leben rettete. Ich lernte Verantwortung zu übernehmen und es folgten eine Heirat, zwei weitere Kinder und damit verbunden, viel Arbeit in die ich mich täglich mit viel Hingabe und Liebe stürzte. Während 11 Jahre schaffte ich es, mir ein kleines, heiles Weltbild aufzubauen, welches jedoch nach meiner ersten NTE komplett in sich zusammenbrach. Der jahrelang unterdrückte Schmerz meiner Kindheitstraumata stürzte wie eine gewaltige Tsunamiwelle über mich und riss mich von einem Tag in den anderen in den Abgrund.
Konfrontation
Die Erinnerungen an meine Vergangenheit und zahlreiche neue Probleme die sich nach meiner ersten NTE hinzugesellten, versetzten mich in eine schwere Erschöpfungsdepression. Ich sass oft stundenlang auf meiner Treppe vor dem Haus, las in spirituellen Büchern, welche mir wenigstens etwas Halt gaben, oder weinte stundenlang. Mein ganzes Leben lief wie im Film vor mir ab. Ähnlich wie viele Nahtoderfahrene berichten, nur dem physischen Leben angepasst über Tage, Wochen und Monate hinweg. Alles was ich mein Leben lang gewaltsam zu unterdrücken versuchte, war auf einen Schlag wieder da und wollte endlich angesehen, angenommen und verarbeitet werden.
Doch wie? Mir war das alles zuviel. Widerwillig begab ich mich, auch auf Druck meiner Familie, in eine Psychotherapie. Ich fühlte mich jedoch von Beginn weg nicht aufgehoben und falsch verstanden. Wie sollte ich erklären was mir passiert war? Ich konnte keinem davon erzählen, sonst hätten mich alle für verrückt gehalten.
Nach gut drei Monaten brach ich die Therapie ab, beschloss mein Leben selbstständig aufzuarbeiten und brachte zunächst meine persönliche Biographie zu Papier.
Eines Tages fand ich im Internet einen Text über das Thema Vergebung und Versöhnung. Gebannt las ich die Seite und mir wurde klar, was meine nächste Aufgabe sein würde: Es war an der Zeit mein Leben aufzuräumen und zwar komplett. Eine richtungsweisende Geschichte daraus möchte ich an dieser Stelle wiedergeben:
«Es waren einmal zwei Männer, beide waren vor vielen Jahren beste Freunde. Leider kam es eines Tages zwischen beiden zu einem heftigen Streit, welcher ihre Freundschaft beendete. Max, wohnhaft in Amerika, war für den Streit verantwortlich. Er hatte seit Jahren mit unglaublichen Schuldgefühlen kämpfen, da er für den Streit mit Kurt, der in einer Stadt in Israel lebte, verantwortlich war.
Getrieben von seinem schlechten Gewissen beschloss Max eines Tages nach Jerusalem zu fliegen und Kurt um Verzeihung zu bitten.
Nach seiner Ankunft erfuhr Max von Kurts Familie, dass dieser leider vor einigen Jahren gestorben sei. Diese Botschaft traf Max wie ein Schlag. Am Boden zerrstört fuhr er hinaus in die Wüste und setzte sich traurig auf einen grossen Stein. Schluchzend streckte er die Arme gen Himmel und sprach: "Lieber Gott, was soll ich jetzt bloss machen? Mich plagen meine schrecklichen Schuldgefühle. Jetzt wollte ich mich endlich mit Kurt aussöhnen und nun ist er gestorben und ich kann ihm nicht mehr sagen, dass es mir so unendlich leid tut was ich ihm angetan habe und ihn um Vergebung bitten.
Verzweifelt flehte er Gott an, dass er ihm doch helfen möge. Nach einem kurzen Moment schien es Max, als ob er einen Impuls empfing. Es fühlte sich an, als ob eine innere Stimme zu ihm sprach: "Warum schreibst du ihm nicht einfach einen Brief?"
Verdutzt stand Max auf, fuhr jedoch gehorsam zurück in sein Hotel und begann einen Brief an Kurt zu schreiben. Dabei erwähnte er alles Schöne, was sie damals freundschaftlich verband, gestand Kurt seine Schuld und bat ihn im Anschluss aus ganzem Herzen um Vergebung für sein damaliges Verhalten. Abschliessend wünschte er ihm Gottes Segen und eine gute Reise in der jenseitigen Welt. Nachdem der Brief fertig geschrieben war, fuhr Max wieder hinaus an dieselbe Stelle in der Wüste, wo er den Impuls für den Brief empfangen hatte. Max stellte sich mutig vor den grossen Stein und las den Brief laut vor, in der Hoffnung der gute Kurt möge ihn im Himmel oben hören.
Und siehe da, während des Vorlesens begannen Max’s Tränen zu fliessen und seine jahrelang unterdrückten Gefühle von Reue, Schmerz und Traurigkeit kamen in Bewegung. Er konnte mit jedem Satz fühlen wie es leichter um sein Herz wurde. Als er mit Lesen fertig war, wartete er einen Moment, zerriss den Brief und warf ihn in den Wind. Während die kleinen Papierfetzen munter durch die Luft und auf dem Boden herumwirbelten, flog plötzlich ein kleiner Zettel genau vor seine Füsse. Max hob ihn auf und staunte nicht schlecht. Kannst du dir vorstellen was auf dem Zettel draufstand?
Vergebung!
Ich meine, sowas passiert nicht zufällig, oder? Der Zettel mit dem Wort Vergebung wurde vor Max Füsse geflogen, denkst du nicht? In diesem Moment wusste Max tief in seinem Herzen, dass seine Bitte um Vergebung bei Kurt im Himmel oben angekommen ist und ihm vergeben war. Seine Schuldgefühle hatten ihn verlassen und er konnte frohen Mutes seine Rückreise in die Ferne antreten.»
Während dem Lesen bekam ich Gänsehaut. Endlich wusste ich, wie ich meine Vergangenheit in Ordnung bringen konnte. Und so begann auch ich einige Briefe, nein ehrlich gesagt, sehr viele Briefe, zu schreiben und genau wie Max fand ich mit jedem verbrannten Brief immer grösseren Frieden in meinem Herzen.
Schreibwerkstatt
Meine Erkenntnisse aus dieser Geschichte halfen mir aus meiner damaligen Opferrolle auszusteigen und handlungsfähig zu werden. Doch da war so viel was angeschaut werden wollte. Wem sollte ich zuerst einen Brief schreiben? Wo begann mein Leid? Natürlich bei meinen Eltern. Meine Mutter kannte ich nicht und ausser der Tatsache, dass sie nie präsent für mich war, hatte ich ihr damals nichts vorzuwerfen. So befasste ich mich zunächst ausführlich mit meinem Vater, der wahrlich genug Zündstoff für einen halben Roman bot. Wir hatten nie wirklich ein tiefes und gutes Verhältnis. Erinnern konnte ich mich zu diesem Zeitpunkt nur an die unschönen Dinge zwischen uns. Auch das Gute in ihm und unserer gemeinsamen Geschichte zu sehen, dazu war mein Herz damals noch zu fest verschlossen. Zunächst dachte ich, es reiche einfach einen kurzen Brief zu schreiben, ihm pauschal zu vergeben und ihm ein schönes Leben zu wünschen. Fertig.
Doch Fehlanzeige. Irgendwie spürte ich, dass dies zu einfach war und nicht genügte um inneren Frieden zu finden. Deshalb beschloss ich ihm mitzuteilen, was mich immer wieder an seinem Verhalten verletzte. Ebenfalls, mit welchen negativen Gefühlen ich dadurch bis zum damaligen Zeitpunkt konfrontiert war. Ich machte ihm viele Vorwürfe und geizte nicht mit Kraftausdrücken. Nach 2 Tagen hatte ich ca. 10 DIN A4 Seiten mit einer wahren Hasstirade an meinen Vater verfasst und fühlte mich total leer und ausgelaugt. Nachdem ich mich wieder gesammelt hatte, las ich den Brief zur Korrektur, denn der ursprüngliche Plan war das Ding auch physisch abzuschicken. Dabei wurde mir speiübel. Ich las all meine Vorwürfe und bösen Worte, einem Menschen gegenüber, der nichts zu seiner Verteidigung beitragen konnte und erkannte mich plötzlich selbst in vielen Dingen wieder: «Naja, … manipulieren kann ich auch ganz gut, gelogen habe ich auch schon und zwar viel schlimmer als Du … du blödes A*** …. meine Kinder schreie ich auch hin und wieder an, wenn mir der Geduldsfaden reisst. Grenzen anderer überschreiten tue ich auch, ebenso andere abwerten und mich selbst in einem glanzvollen Lichtkleid oder als armes kleines Opfer darstellen…
Ich war geschockt. Durfte ich meinem Vater solche Vorwürfe machen, wenn ich dieses Verhalten selbst auch pflegte? Ein schrecklich schlechtes Gewissen überkam mich. Ich notierte mir die Übereinstimmungen auf einem gesonderten Blatt Papier und kürzte den Brief, indem ich die Vorwürfe ausliess, welche auch mich selbst betrafen.
Ebenso suchte ich nach neuen, angemesseneren Formulierungen für meine beleidigenden Schimpfwörter oder strich sie ganz.
Die korrigierte Version war nun deutlich kürzer. Nun fiel mir ein, dass auch ich mich meinem Vater gegenüber nicht immer fair, sondern oft sehr frech und übergriffig verhalten habe. Dafür entschuldigte ich mich im Einzelnen. Weiter fiel mir ein, dass wir auch schöne Zeiten miteinander hatten. Diese wertschätzte ich und bedankte mich dafür. Da ich unbedingt auch meinen Glauben in den Brief einbringen wollte, übergab ich schliesslich alles an Jesus Christus, damit er die Situation zwischen uns heilen und meinen Vater und mich vor unserem Untergang retten möge. Zum Abschied segnete ich ihn und alles was zwischen uns stand und beendete den Brief.
Nun war es rund für mich. Aber abschicken konnte ich ihn so trotzdem nicht. Mein Vater hätte das alles nach 8 Jahren komplettem Kontaktabbruch nicht verstanden.
So überlegte ich mir, wenn das bei den Männern in der Geschichte, allein mit Schreiben und Papierschnitzel in die Luft schmeissen geklappt hat, warum dann nicht auch bei uns, indem ich den Brief im Garten verbrenne? Meine Worte sind ja ebenfalls nichts anderes als Energie. Warum sollte das nicht bei meinem Vater ankommen? Nachdem ich noch weitere Briefe an andere vermeintliche Feinde verfasst hatte, bat ich meine damals beste Freundin meinem Vergebungsritual beizuwohnen und mir emotional beizustehen.
So sassen wir eines Abends in meinem Garten mit einer Flasche Wein vor unserer Feuerstelle. Als ich mir endlich genug Mut angetrunken hatte, las ich den ersten Brief, den an meinen Vater, laut vor. Was dann passierte hätte ich so niemals erwartet. Die Bubble der Verdrängung platzte und der alte Eiter an unterdrückten Gefühlen floss aus. Ich weinte wie ein Schlosshund, zitterte wie Espenlaub, hatte zeitgleich einen dicken Kloss im Hals und auf der Brust, Atemnot, Bauchkrämpfe sowie massiven Brechreiz. Doch der Brief wurde fertig gelesen bis zum letzten Wort. Bis auf das Knistern des Feuers herrschte nun Totenstille. Ich blickte zu meiner Freundin. Diese sass kreidebleich, wie versteinert auf ihrem Sessel und sah mich ebenfalls tränenüberströmt an. Dann knüllte ich den Brief zusammen und warf ihn ins Feuer. In diesem Moment gab es eine gewaltige Stichflamme und es schien, dass damit mein ganzer Schmerz durch das Feuer der Liebe auf eine höhere Ebene transformiert wurde. Eine grosse Last viel von meinem Herzen und mit jedem weiteren Brief fühlte es sich noch ein Stück leichter an.
Kettenreaktion
Mit dem Ritual wurde eine ungeahnte Dynamik in Gang gestossen. Eines Tages stand ich an der Supermarktkasse und fiel beinahe in Ohnmacht. In der Reihe neben mir stand ein Mann, den ich einmal bitter enttäuscht und ihm viel Ärger verursacht hatte. Über Jahre hinweg habe ich jegliche Begegnung mit ihm tunlichst vermieden und auch jetzt drehte ich mich feige ab, damit er mich nicht entdecken konnte.
Nein, liebe Sabine, du bist nicht nur das arme kleine Opfer, sondern auch Täterin! Zu Hause überkam mich ein immer grösseres schlechtes Gewissen und darum beschloss ich ihm ebenfalls einen Brief zu schreiben. Ich entschuldigte mich für mein damaliges Verhalten und bot an, den Schaden von damals wiedergutzumachen. Obwohl ich mir vor Angst fast in die Hosen machte, ging ich zur Post und warf den Brief ein. Gott steh mir bei!
Von diesem Tag an begegneten mir ständig Menschen, welche ich irgendwannmal verletzt oder verärgert hatte. Keine ruhige Minute war mir mehr gegönnt, denn meine eigenen Missetaten hatten nun auch mich eingeholt. Ich sass tage- und wochenlang am Tisch und schrieb Karten oder Briefe an Menschen, welche ich um Verzeihung bitten musste. Als mich tatsächlich eine erste Antwort erreichte, fiel mir erstmal sprichwörtlich der Arsch auf Grundeis. Ein ehemaliger Bekannter bedankte sich für mein Schreiben. Ich traute mich kaum den Brief zu öffnen, wagte es dann aber trotzdem und las in etwa das Folgende: «Ich habe dir schon lange vergeben. Du musst nichts wieder gut machen, es ist alles gut zwischen uns. Wir alle machen Fehler.» Weitere Antworten folgten wie: «Danke, dass du heimlich mit meinem Freund ein Techtelmechtel hattest. Genau das habe ich damals gebraucht, damit ich endlich den Mut fand, mich von ihm zu trennen. Meine Faust in deinem Gesicht hast Du zwar verdient, aber bitte verzeih auch mir dafür.» :-)
Nicht ein negativer Brief war dabei, obwohl ich natürlich nicht von allen eine Rückmeldung bekam. Aber das war mir egal. Ich hatte meine Schuldigkeit getan und die positiven Feedbacks waren für mich meine Absolution.
Zum Schluss trug ich meine eigenen Schuldgefühle vor Gott, bat um Vergebung für meine Fehler, vergab mir nach und nach selbst und wurde langsam ein neuer Mensch. Ab und an falle ich zwar auch heute noch in einige alte Muster zurück, oder mein Aussen spiegelt mir gnadenlos meine blinden Flecken. Im Großen und Ganzen bin ich jedoch mit meiner Vergangenheit im Reinen. Was neu hinzukommt versuche ich zu reflektieren, meinen Anteil zu erkennen und in erster Linie bei mir selbst zu ändern.
Vergebung über den Tod hinaus
Auch heute noch bin ich Jahre später von einem barmherzigen Gottesbild überzeugt. Für mich gibt es nur einen liebenden Gott, der alle Lebensfäden der Schöpfung zusammenhält und jede Seele ganz individuell ihrer grossen Bestimmung entgegenführt. Einen Gott der jeden Menschen annimmt wie er ist. Egal welchen Glauben, Unglauben oder welche Religionszughörigkeit er hat und egal wie lange sein persönliches Sündenregister an Missetaten auch sein mag. Wer aus tiefstem Herzen den Wunsch verspürt seine innere Hölle zu überwinden, dem eilt der Himmel zur Hilfe. Denn in der jenseitigen Welt herrscht nur ein Gesetz: Das Gesetz der Liebe! Auch dort stehen zahllos viele Schulhäuser bereit, um durchgefallene Prüflinge aufzunehmen und den verpassten Stoff nachzuholen. Auch viele NTE zeigen es: Man kann solange verdrängen wie man will, spätestens auf dem Sterbebett oder in der jenseitigen Realität holen einem seine Taten, sein Nicht handeln und seine Schuldgefühle wieder ein und man erhält eine neue Möglichkeit zur Aussprache, Versöhnung und Wiedergutmachung, ohne diese es keinen Aufstieg in höherschwingende Sphären gibt. Zahlreiche vertrauenswürdige Jenseitsberichte erzählen ebenfalls davon.
Wie kann Vergebung und Versöhnung gelingen?
Vergebung beginnt immer mit einer Willensentscheidung. Meist nach einer längeren Phase des Nachsinnes über ein (vermeintliches) Unrecht. Vergebung beginnt, wenn wir den Mut finden, über das Geschehene zu sprechen, unserer Wahrheit und unseren dazugehörigen Gefühlen ungeschönt Ausdruck verleihen. Vergebung beginnt, wenn wir unserer Eigenanteile am Konflikt bewusstwerden oder uns im Spiegel des andern erkennen. Alles annehmen, wie es ist, unsere eigenen Fehler eingestehen und überwinden.
Vergebung ist meist keine Angelegenheit, die von einem Moment auf den anderen geschehen kann, sondern ein individueller Prozess, der eine gewisse Distanz, objektive Sicht und Selbstreflexion zum Geschehnis benötigt.
Verzeihen verändert den Fokus. Wir hören auf ins Aussen zu projizieren und achten wieder mehr auf das was in uns selbst noch erlöst werden möchte. Durch Verzeihen gibt man seine Gedanken an Rache, Wiedergutmachung und Strafe ab an Gott oder die höhere Instanz an die man glaubt. Man übernimmt Verantwortung für seinen Teil des Konflikts und überlässt was man selbst nicht beeinflussen kann, vertrauensvoll seiner Führung.
Was Vergebung bewirkt
- Vergebung ist Liebe und Liebe heilt alles, denn Gott ist die Liebe
- Wer vergibt, befreit einen Gefangenen. Sich selbst, denn…
- Vergebung ist Gnade. Begnadigung für den «Schuldigen» wie für das «Opfer»
- Vergebung bewirkt Barmherzigkeit für alle Beteiligten
- Vergebung fördert somit eine gesunde Gottes-, Selbst- und Nächstenliebe
- Durch Vergebung gibt man den Ball (die Verantwortung) zurück
- Man lernt achtsamer und reflektierter durch sein Leben zu gehen
- Man lernt, dass Verzeihen oft viel einfacher ist, als selbst um Verzeihung zu bitten
- Man lernt im vermeintlich Bösen auch das Gute zu sehen
- Man lernt, Dinge auch einfach mal stehen zu lassen
- Aus einem warum? Wird ein egal!
- Vergebung mobilisiert Selbstheilungskräfte
- Oft wird ein beschleunigter Heilungsprozess bei körperlichen und seelischen Krankheitsverläufen registriert
- Vergebung schafft neuen Freiraum. Ein Vakuum, um ein autonomes und glückliches Leben zu erschaffen!
Was Vergebung nicht bedeutet
- Vergebung ist keine leere Floskel, die man einfach so ausspricht
- Vergebung bedeutet nicht, dass Unrecht relativiert oder legitimiert wird
- Es bedeutet nicht, so zu tun, als ob man alles vergessen hätte
- Es bedeutet nicht, dass man weitere Grenzüberschreitungen von einer Person zulassen muss, sondern weiterhin seine Grenzen konsequent setzen und selbst auch einhalten darf. Obwohl man seinen Groll losgelassen hat, darf man einen grenzüberschreitenden Menschen auf Distanz halten, wenn man spürt, dass einem diese Beziehung weiterhin nicht guttut. Auch innerhalb der Familie!
Das ist nicht egoistisch, sondern ist ein gesunder Selbstschutz und Selbstführsorge.
Man sollte sich jedoch hüten, zu früh zu verzeihen. Wird Vergebung zu schnell ausgesprochen, fehlt die Nachhaltigkeit, da der Giftstachel des Schmerzes oder der Wut noch immer tief im Fleisch sitzt und ähnliche Reaktionen hervorruft, welche einen Menschen überhaupt erst in diese Situation gebracht haben. Erst wenn verdrängte Emotionen ihren Ausdruck gefunden haben, das Ursprungsthema, die Wurzel des Leids ausgegraben und ausgerissen sind, kann das Wunder einer tiefgreifenden Heilung in unseren Herzen geschehen. Wahrhafte Vergebung spricht man aus, wenn man sich aus ganzem Herzen dafür bereit fühlt.
Was sind die Folgen von Unvergebenheit?
Unausgesprochene Worte und unterdrückte Emotionen bleiben im Körper und in der Seele eines Menschen abgespeichert. Quasi, vorläufig Ad Acta gelegt und produzieren im Laufe der Zeit, meist als Traumafolgestörungen, weitere unangenehme Lebenssituationen oder gesundheitliche Probleme. Unvergebenheit verschliesst die Türen für seinen inneren Frieden. Wer sich permanent in einer Endlosschleife von Leid, Pech und Mangel wiederfindet, tut sich gut daran, sein Leben grundlegend zu beleuchten und zu bereinigen.
Die Psychoneuroimmunologie und Trauma Forschung hat inzwischen ebenfalls zahlreiche Zusammenhänge zwischen unterdrückten Emotionen und Krankheitssymptomen aufgedeckt wie z.B.
- Herz-Kreislaufprobleme
- Autoimmunerkrankungen
- MS (Multiple Sklerose)
- ALS (Amyotrophe Lateralsklerose)
- ADHS/ADS
- Krebs
- Gewichtsprobleme
- Rheuma
- Arthrose
- Burnout, Erschöpfung
- Schlafstörungen
- Chronische Schmerzen
- Hormonstörungen
- Beschwerden des Verdauungsapparates
- Depressionen
- Suchtverhalten
- Psychosomatische Beschwerden
- Unfruchtbarkeit
- Depressionen, Angst- und Panikattacken, sowie weitere leichte bis schwerwiegende psychischen Erkrankungen oder Störungen bis hin zu schweren Schizophrenien und Psychosen
- Besetzungen
Wenn alle Türen fest verschlossen sind, wird es Zeit für Vergebung
Üben wir uns also in dieser Haltung: Jeder Konflikt in unserem Leben ist ein Geschenk des Himmels, an dem wir wachsen dürfen. Alles ist für uns, nichts gegen uns. Jede zwischenmenschliche Problemstellung begann ursprünglich auf der spirituellen Ebene. An irgendeinem Punkt fielen wir aus unserem göttlichen Urvertrauen. Man kann es auch den Fall aus der Alleinheit, der Vertreibung aus dem allumfassenden, glückseligen Zustand, dem Paradies nennen. Aus dieser Urangst, in der wir uns ungeliebt und im Stich gelassen fühlen, reagieren wir im Verlauf unseres Lebens, immer wieder auf dieselbe Art und Weise auf unsere Umwelt. Und zwar solange, bis die Verbindung zu unseren spirituellen Wurzeln wieder hergestellt und unser einstiges Urvertrauen unerschütterlich zu uns zurückgekehrt ist.
Um ganzheitlich Heil zu werden benötigen wir Sicherheit. Wir wähnen uns im Gedanken, diese Sicherheit in unseren Mitmenschen zu finden und werden trotzdem immer wieder enttäuscht. Denn wir leben in Zeiten von Fremdbestimmung und Gewalt. In Zeiten wo wir uns in unseren Existenzen oder in unserer Freiheit bedroht fühlen. In Zeiten von Wertezerfall und Manipulation und Entfremdung. In Zeiten wo Kriege nicht nur plötzlich vor Europas Haustüren toben, sondern wo auch wir tagtäglich unbarmherzige Kriege in unseren eigenen vier Wänden, in Familien, in Freundschaften, in der Schule, am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft austragen. In Zeiten wie diesen, wo uns geliebte Menschen, plötzlich und unerwartet aus den Armen gerissen und wir auf uns selbst zurückgeworfen werden. In Zeiten wie diesen, wo Stoffmasken unsere geistigen Masken nicht ersetzen können, jetzt wo sie uns gnadenlos heruntergerissen wurden und jeder sein wahrhaftiges und nicht selten hässliches Ich preisgeben muss.
Eine umfassende Sicherheit, wie wir sie uns wünschen, können uns in solchen Zeiten keine Menschen bieten. Menschen kommen und Menschen gehen, denn in der Not ist sich jeder selbst der Nächste. Nur einer bleibt und steht zu seinem Wort:
"Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, so will ich euch erquicken!"
Matthäus 11,28
©sabineamrhein.ch
photoart Tommy_Rau on pixabay thx4
Wer schreibt hier?
Ich bin Sabine, ich helfe Menschen, sich selbst, ihre Mitmenschen sowie ihre Lebensumstände besser zu verstehen und positiv zu verändern. Ich befasse mich schon viele Jahre mit christlicher Mystik und den Heilungswegen, die uns Jesus Christus bereits vor 2000 Jahren empfohlen hat. Wende sie selbst an und vermittle sie Hilfesuchenden zur Selbsthilfe.
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Herzlichen Dank und vergelt’s Gott
Sabine
Sehnst du dich nach stillen Momenten mit Gott?
Gerne lade ich dich zum wöchentlichen, christlichen Herzensgebet ein. In einer stillen, kontemplativen Versenkung bei dir zu Hause und doch mitgetragen von einer Gruppe Menschen, welche ihre Aufmerksamkeit auf Jesus Christus richten.
Mein Angebot Herzensgebet ist ursprünglich aus einer Idee während des Lockdowns 2020 entstanden und findet seitdem jeden Montag um 20.30 Uhr statt. Gerade in unsicheren Zeiten, wo gewohnte Strukturen immer mehr auseinanderbrechen, kann uns das Gebet in Meditationsform zu innerer Stabilität und Ruhe und Frieden zurückführen.
Die Teilnahme am Herzensgebet ist völlig unverbindlich. Du kannst jederzeit einsteigen oder pausieren, wie es für dich passt. Um dich darauf einzustimmen erhältst du jeweils am Vortag ein Erinnerungsmail mit einem geistigen Impuls für die kommende Woche.
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